S.22.84.      Tissa

Sutren aus dem

Pali-Kanon

Quelle www.palikanon.com

(c) Wolfgang Greger

 

So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene zu Sávatthí, im Jeta-Hain, im Kloster des Anáthapindika.

Damals nun gab der Ehrwürdige Tissa, ein Vetter des Erhabenen, einer Anzahl von Mönchen dieses kund:

·      "Gleichsam wie verwirrt, Brüder, ist mein Inneres,

·      die Richtung habe ich verloren,

·      die Lehren werden mir nicht klar,

·      von Starrheit und Müde ist mein Geist umfangen,

·      ohne Freude lebe ich den Heiligen Wandel,

·      und auch Zweifel habe ich hinsichtlich der Lehren."

Da begaben sich jene Mönche zum Erhabenen, begrüßten ihn ehrerbietig und setzten sich zur Seite nieder.

Seitwärts sitzend sprachen sie zum Erhabenen also: "Der Ehrwürdige Tissa, o Herr, des Erhabenen Vetter, hat einer Anzahl Mönche dies kundgetan:

'Gleichsam wie verwirrt, Brüder, ist mein Inneres... und auch Zweifel habe ich hinsichtlich der Lehren.'"

Da wandte sich der Erhabene an einen Mönch: "Geh, o Mönch, und sprich in meinem Namen zum Mönch Tissa: 'Der Meister ruft dich, Bruder Tissa.'"

"Ja, o Herr", antwortete jener Mönch dem Erhabenen und begab sich zum Ehrwürdigen Tissa. Dort angelangt sprach er zu ihm: "Der Meister ruft dich, Bruder Tissa."

"Ja, o Bruder", antwortete der Ehrwürdige Tissa jenem Mönch und begab sich zum Erhabenen.

Dort angelangt begrüßte er den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder.


Und der Erhabene sprach zum Ehrwürdigen Tissa also: "Ist es wahr, o Tissa, daß du einer Anzahl von Mönchen dieses kundgetan hast:

'Gleichsam wie verwirrt, Brüder, ist mein Inneres... und auch Zweifel habe ich hinsichtlich der Lehren'?"

- "Ja, o Herr."

"Was meinst du wohl, Tissa: Wenn da einem bei der Körperlichkeit, dem Gefühl, der Wahrnehmung, den Gestaltungen, dem Bewußtsein Gier nicht geschwunden ist, wenn ihm Wille, Zuneigung, Dürsten, Fiebern, Begehren nicht geschwunden sind, entstehen ihm dann wohl durch Wandel und Veränderung dieser Körperlichkeit, dieses Gefühls, dieser Wahrnehmung, dieser Gestaltungen, dieses Bewußtseins Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung?"

- "Ja, o Herr."

- "Gut, gut, o Tissa! Wahrlich, so verhält es sich mit einem solchen: wenn ihm da bei der Körperlichkeit, dem Gefühl, der Wahrnehmung, den Gestaltungen, dem Bewußtsein Gier nicht geschwunden ist... dann entstehen ihm... Trübsal und Verzweiflung.

Was meinst du, Tissa: Wenn da einem bei der Körperlichkeit, dem Gefühl, der Wahrnehmung, den Gestaltungen, dem Bewußtsein die Gier geschwunden ist, wenn ihm Wille, Zuneigung, Dürsten, Fiebern und Begehren geschwunden sind, entstehen ihm dann wohl durch Wandel und Veränderung dieser Körperlichkeit, dieses Gefühls, dieser Wahrnehmung, dieser Gestaltungen, dieses Bewußtseins Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung?"

- "Wahrlich nicht, o Herr."

- "Gut, gut, o Tissa! Wahrlich, so verhält es sich mit einem solchen: wenn ihm da bei der Körperlichkeit... Gier geschwunden ist..., nicht entstehen ihm dann... Trübsal und Verzweiflung.

 


 

Was meinst du, Tissa: Ist die Körperlichkeit unvergänglich oder vergänglich?.

- "Vergänglich, o Herr."

- "Was aber vergänglich ist, ist das leidig oder freudig?"

- "Leidig, o Herr."

- "Was nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit Recht so ansehen:

'Dies ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

- "Gewiß nicht, o Herr."

"Sind Gefühl - Wahrnehmung - Gestaltungen - Bewußtsein unvergänglich oder vergänglich?"

- "Vergänglich, o Herr."

- "Was aber vergänglich ist, ist das leidig oder freudig?"

- "Leidig, o Herr."

- "Was nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit Recht so ansehen:

'Dies ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

- "Gewiß nicht, o Herr."

 

"Daher, o Mönche: was es irgend an Körperlichkeit gibt - an Gefühl - an Wahrnehmung - an Gestaltungen - an Bewußtsein gibt, sei es vergangen, künftig oder gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder fein, gewöhnlich oder edel, fern oder nahe - von jeder Körperlichkeit - jedem Gefühl - jeder Wahrnehmung - allen Gestaltungen - jedem Bewußtsein gilt:

'Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst!'

So hat man dies der Wirklichkeit gemäß mit rechter Weisheit zu betrachten.

 

So erkennend, o Mönche, wendet sich der erfahrene, edle Jünger von der Körperlichkeit ab,

er wendet sich ab vom Gefühl,

er wendet sich ab von der Wahrnehmung,

er wendet sich ab von den Gestaltungen,

er wendet sich ab vom Bewußtsein.

·      Abgewandt wird er entsüchtet.

·      Durch die Entsüchtung wird er befreit.

·      Im Befreiten ist die Erkenntnis: 'Befreit bin ich. Versiegt ist die Geburt, vollendet der Heilige Wandel, getan das Werk, nichts Weiteres nach diesem hier' - so erkennt er."


Wie wenn da, o Tissa, zwei Leute wären: der eine wegesunkundig und der andere wegeskundig.

Es würde nun der des Weges Unkundige den Wegeskundigen nach dem Wege befragen, und dieser möchte antworten:

'Dies dort ist der Weg, lieber Mann! Auf ihm gehe eine Weile.

Bist du auf ihm eine Weile gegangen, dann wirst du einen Scheideweg sehen. Den linken Weg vermeidend, wähle den rechten; den gehe eine Weile.

Bist du auf ihm eine Weile gegangen, dann wirst du ein düsteres Walddickicht sehen, da gehe eine Weile.

Bist du dort eine Weile gegangen, dann wirst du einen großen, tief liegenden Sumpf erblicken; da gehe eine Weile.

Bist du an ihm eine Weile entlanggegangen, dann wirst du einen steilen Absturz sehen; da gehe eine Weile.

Bist du an ihm eine Weile entlanggegangen, dann wirst du einen stillen, entzückenden Ort erblicken!'


Dieses Gleichnis, o Tissa, ward von mir gegeben zum Verständnis des Sinnes. Und dieses ist hierbei die Bedeutung:

Der Wegesunkundige: das, o Tissa, ist eine Bezeichnung für den Weltmenschen; der Wegeskundige; das, o Tissa, ist eine Bezeichnung für den Vollendeten, den Heiligen, vollkommen Erwachten.

Der Scheideweg: das, o Tissa, ist eine Bezeichnung für den Zweifel.

·      Der linke Weg: das, o Tissa, ist eine Bezeichnung für den achtfachen falschen Pfad, nämlich: falsche Erkenntnis, falsche Gesinnung, falsche Rede, falsches Tun, falscher Lebensunterhalt, falsches Streben, falsche Achtsamkeit und falsche Sammlung.

·      Der rechte Weg: das, o Tissa, ist eine Bezeichnung für den Edlen Achtfachen Pfad, nämlich: rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Tun, rechter Lebensunterhalt, rechtes Streben, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung.

Das düstere Walddickicht, o Tissa, das ist eine Bezeichnung für das Nichtwissen.

Der große, tief liegende Sumpf, o Tissa, das ist eine Bezeichnung für die Sinnenlüste.

Der steile Absturz, o Tissa, das ist eine Bezeichnung für Zorn und Verzweiflung.

Der stille, entzückende Ort, o Tissa, das ist eine Bezeichnung für das Nibbana.

 


Sei heiter, Tissa! Sei heiter, Tissa! Als Berater bin ich ja da, als Helfer, als Unterweiser."

 

Also sprach der Erhabene. Beglückt freute sich der Ehrwürdige Tissa über das Wort des Erhabenen.



Auswahl und Gestaltung: Gottfried Helms, D-Kassel

 

(Anm in www.palikanon.com: Übers. in Yána 1952, S. 126.)