MN 12.2

 

Sutren aus dem

Pali-Kanon

Quelle www.palikanon.com

(c) Wolfgang Greger

 

(...)

Wer nun zu mir, Sáriputto, dem also Erkennenden, also Erschauenden also spräche: 'Der Asket Gotamo besitzt nicht das überirdische reiche Heiltum der Wissensklarheit: eine grüblerisch vernagelte Lehre trägt der Asket Gotamo vor, die er selbst ersonnen und ausgedacht hat', und er bereute, Sáriputto, diese Rede nicht, verwürfe nicht diese Gedanken, gäbe diese Ansicht nicht auf, der möchte, wie er's gefügt, dem Abweg verfallen.

Gleichwie etwa, Sáriputto, ein Mönch, der Selbstbeherrschung, Vertiefung und Weisheit gewonnen hat, noch bei Lebzeiten zur Erkenntnis gelangen kann: so, sag' ich, Sáriputto, mag wer diese Rede nicht bereut, diese Gedanken nicht verworfen, diese Ansicht nicht aufgegeben hat, wie er's gefügt, dem Abweg verfallen.

 


"Und ferner bekenn' ich, Sáriputto, die Zeiten der vierfach geübten Askese:

·      Inbrünstig bin ich gewesen, Inbrünstig wie noch kein andrer;

·      Rauhsinnig hin ich gewesen, Rauhsinnig wie noch kein andrer;

·      Wehmütig bin ich gewesen, Wehmütig wie noch kein andrer;

·      Abgelöst bin ich gewesen, Abgelöst wie noch kein andrer.

 



"Da hab' ich denn, Sáriputto, also Inbrunst geübt; ein Unbekleideter war ich, ein Ungebundener, ein Handverköster, kein Ankömmling, kein Abwärtling, gestattete keine Darreichung, keine Vergünstigung, keine Einladung, spähte beim Empfangen des Almosens nicht nach dem Topfe, nicht nach der Schüssel, nicht über die Schwelle, nicht über das Gitter, nicht in den Kessel hinein, nahm nicht von zu zweit Speisenden an, nicht von einer Schwangeren, nicht von einer Saugenden, nicht von einer, die vom Manne kommt, nicht von Beschmutzten, nicht wo ein Hund dabei steht, nicht wo Fliegen hin und her schwärmen, aß keinen Fisch, kein Fleisch, trank keinen Wein, kein gebranntes Wasser, keinen gegorenen Haferschleim.

Ich ging zu einem Hause und begnügte mich mit einer Handvoll Almosenspeise; ging zu zwei Häusern und begnügte mich mit zwei Handvoll Almosenspeise; ging zu sieben Häusern und begnügte mich mit sieben Handvoll Almosenspeise.

Ich fristete mein Leben durch die Mildtätigkeit von nur einer Spenderin, von nur zwei Spenderinnen, von nur sieben Spenderinnen.

Ich nahm nur jeden ersten Tag Nahrung ein, nur jeden zweiten Tag, nur jeden siebenten Tag.

Solcherart wechselnd beobachtet' ich streng diese bis auf einen halben Monat ausgedehnte Fastenübung.


"Und ich lebte von Kräutern und Pilzen, von wildem Reis und Korn, von Samen und Kernen, von Pflanzenmilch und Baumharz, von Gräsern, von Kuhmist, fristete mich von Wurzeln und Früchten des Waldes, lebte von abgefallenen Früchten.

"Und ich trug das hänfene Hemd, trug das härene Hemd, trug einen Rock, geflickt aus den im Leichenhof und auf der Straße gefundenen Fetzen, hüllte mich in Lumpen, in Felle, in Häute, gürtete mich mit Flechten aus Gras, mit Flechten aus Rinde, mit Flechten aus Laub, barg die Blöße unter pelzigem Schurze, unter borstigem Schurze, unter einem Eulenflügel.

"Und ich raufte mir Haupt- und Barthaar aus, die Regel der Haar- und Bartausraufer befolgend; war ein Stetigsteher, verwarf Sitz und Lager; war ein Fersensitzer, übte die Zucht der Fersensitzer; war ein Dornenseitiger und legte mich zur Seite auf ein Dornenlager; stieg allabendlich zum dritten Mal herab ins Büßerbad.

So übte ich mich gar vielfach in des Körpers inbrünstiger Schmerzensaskese. Und das, Sáriputto, ist meine Inbrunst gewesen.

 

"Und ich habe da, Sáriputto, also Rauhsinn gepflegt: vieljährigen Schmutz und Staub ließ ich am Körper ansammeln, bis zum herabfallen. Gleichwie etwa, Sáriputto, am Stumpfe des Ebenholzbaumes die Staubschicht sich von Jahr zu Jahr verdichtet, bis zum herabfallen: ebenso nun auch, Sáriputto, hatte sich an meinem Körper vieljähriger Schmutz und Staub angesammelt, bis zum herabfallen. Und es kam mir da, Sáriputto, kein solcher Gedanke: 'Ach könnte ich mich doch endlich von diesem Staub und Schmutze säubern, oder möchten es andere tun!' Ein solcher Gedanke, Sáriputto, kam mir nicht. Und das, Sáriputto, ist mein Rauhsinn gewesen.


"Und ich habe da, Sáriputto, also Wehmut gehegt: jeder meiner Schritte, Sáriputto, war von klarem Bewußtsein geleitet, von klarem Bewußtsein gelenkt, und selbst ein Tropfen Wassers erregte in mir das Mitleid: 'O daß ich den kleinen verirrten Wesen ja nicht Schaden zufüge!' Und das, Sáriputto, ist meine Wehmut gewesen.

 

"Und ich habe da, Sáriputto, also Ablösung gelernt: ich ging in irgendeinen Wald hinein und verweilte dort; bemerkt' ich aber einen Rinderhirten oder Viehtreiber, einen Kräutersucher oder Reisigsammler oder einen Holzknecht, so floh ich von Forst zu Forst, von Hain zu Hain, von Tal zu Tal, von Berg zu Berg: und warum das?

Jene sollten mich nicht sehn, und ich mochte sie nicht sehn. Gleichwie etwa, Sáriputto, ein Wild des Waldes, wenn es Menschen gesehen hat, von Forst zu Forst, von Hain zu Hain, von Tal zu Tal, von Berg zu Berg flieht: ebenso nun, Sáriputto, floh auch ich, wenn ich da einen Rinderhirten oder Viehtreiber, einen Kräutersucher oder Reisigsammler oder einen Holzknecht bemerkt hatte, von Forst zu Forst, von Hain zu Hain, von Tal zu Tal, von Berg zu Berg: und warum das? Jene sollten mich nicht sehn, und ich mochte sie nicht sehn. Und das, Sáriputto, ist meine Ablösung gewesen.

 

"Und ich ging dann, Sáriputto, wenn die Knechte fort waren, zu den Hürden hinab, zu den angebundenen Kühen, und sammelte in meinem irdenen Topfe Mist von den jungen, saugenden Kälbern und lebte davon. Und was da, Sáriputto, als mein eigener Kot und Harn unverdaut blieb, auch das nahm ich ein. Und das Sáriputto, ist mein großer Hefekelch gewesen.


"Und ich habe mich dann, Sáriputto, in einen anderen, in grauenvollen Wald begeben, dort zu verweilen. In jener gräßlichen Wildnis, Sáriputto, herrschte solches Entsetzen, daß jedem ungeheiligten Wanderer alsbald die Haare sich sträubten. Und während der kalten, eisigen Nächte im Winter, zur Zeit des Frostes, hielt ich mich nachts in einer Lichtung auf und tags im Dickicht; und im Sommer, zur Zeit der Hitze, hielt ich mich tags in einer Lichtung auf und nachts im Dickicht.

Und es leuchtete mir, Sáriputto, dieser naturgemäße Spruch auf, der nie zuvor gehörte:

 

'Im Sommerbrand, im Wintersturm

Allein im wilden Schreckensforst

Sinnt ohne Feuer, ohne Herd

Ein nackter Dulder selbstvertieft.'

"Und ich wanderte, Sáriputto, zu einer Leichenstätte hin und lagerte mich auf einem Haufen fauler Gebeine.

Und da kamen, Sáriputto, Hirtenkinder herbei, spieen auf mich und benäßten mich und bewarfen mich mit Unrat und fuhren mir mit spitzigen Halmen in die Ohren.

Doch erinnere ich mich nicht, Sáriputto, daß mir ein böser Gedanke gegen sie aufgestiegen wäre. Und das, Sáriputto, ist mein Gleichmut gewesen.



"Manche Asketen und Brahmanen, Sáriputto, sagen und lehren: 'Die Nahrung läutert.' Und sie ermahnen: 'Laßt uns von Steinäpfeln leben.' Und sie verzehren Steinäpfel, essen Steinäpfelmus, trinken Steinäpfelsaft, genießen allerlei Gerichte aus Steinäpfeln. Ich erinnere mich, Sáriputto, nur einen Steinapfel als tägliche Nahrung genossen zu haben. Nun möchtest du wohl, Sáriputto, meinen, es habe damals auch größere Steinäpfel gegeben. Doch wäre eine solche Meinung, Sáriputto, unrichtig: auch damals wurden Steinäpfel nur ebenso groß wie heute. Und indem ich, Sáriputto, nur einen Steinapfel als tägliche Nahrung zu mir nahm wurde mein Körper außerordentlich mager.

"Manche Asketen und Brahmanen, Sáriputto, sagen und lehren: 'Die Nahrung läutert.' Und sie ermahnen: 'Laßt uns von Bohnen leben', 'Laßt uns von Sesam leben', 'Laßt uns von Reis leben.' Und sie verzehren Reis, essen Reisbrei, trinken Reiswasser, genießen allerlei Gerichte aus Reis. Ich erinnere mich, Sáriputto, nur ein Reiskorn als tägliche Nahrung genossen zu haben. Nun möchtest du wohl, Sáriputto, meinen, es habe damals auch größeren Reis gegeben. Doch wäre eine solche Meinung, Sáriputto, unrichtig: auch damals wurde der Reis nur ebenso groß wie heute. Und indem ich, Sáriputto, nur ein Reiskorn als tägliche Nahrung zu mir nahm wurde mein Körper außerordentlich mager.

"Wie dürres, welkes Rohr wurden da meine Arme und Beine durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme, wie ein Kamelhuf wurde da mein Gesäß durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme, wie eine Kugelkette wurde da mein Rückgrat mit den hervor- und zurücktretenden Wirbeln durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme, wie sich die Dachsparren eines alten Hauses querkantig abheben, hoben sich da meine Rippen querkantig ab durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme, wie in einem tiefen Brunnen die unten liegenden Wasserspiegel verschwindend klein erscheinen, so erschienen da in meinen Augenhöhlen die tiefliegenden ,Augensterne verschwindend klein durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme, wie ein Bitterkürbis, frisch angeschnitten, in heißer Sonne hohl und schrumpf wird, so wurde da meine Kopfhaut hohl und schrumpf durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme.

Und indem ich, Sáriputto, die Bauchdecke befühlen wollte traf ich auf das Rückgrat, und indem ich das Rückgrat befühlen wollte traf ich wieder auf die Bauchdecke. So nahe war mir, Sáriputto, die Bauchdecke ans Rückgrat gekommen durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme.

Und ich wollte, Sáriputto, Kot und Harn entleeren, da fiel ich vornüber hin durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme. Um nun diesen Körper da zu stärken, Sáriputto, rieb ich mit der Hand die Glieder. Und indem ich also, Sáriputto, mit der Hand die Glieder rieb, fielen die wurzelfaulen Körperhaare aus durch diese äußerst geringe Nahrungaufnahme.

"Und auch dieser Pfad, diese Zucht, diese harte Askese, Sáriputto, brachte mich dem überirdischen, reichen Heiltum der Wissensklarheit nicht näher: und warum nicht?

Weil ich eben jene heilige Weisheit nicht errungen hatte, jene heilige Weisheit, deren Errungenschaft sich als heilige Weihe erweist, dem Grübler zur gänzlichen Leidensversiegung.



"Manche Asketen und Brahmanen, Sáriputto, sagen und lehren: 'Der Kreislauf läutert.' Doch ist der Kreislauf, Sáriputto, durchaus kein leichter, den ich auf dieser langen Fahrt nirgends gefunden habe als etwa bei den Reinen Göttern. Und sollt' ich auch, Sáriputto, nur unter Reinen Göttern kreisen: ich mag in diese Welt nicht wiederkehren.

"Manche Asketen und Brahmanen, Sáriputto, sagen und lehren: 'Die Geburt läutert.' Doch ist die Geburt, Sáriputto, durchaus keine leichte, die ich auf dieser langen Fahrt nirgends gefunden habe als etwa bei den Reinen Göttern. Und sollt' ich auch, Sáriputto, nur unter Reinen Göttern geboren werden: ich mag in diese Welt nicht wiederkehren.

"Manche Asketen und Brahmanen, Sáriputto, sagen und lehren: 'Das Leben läutert.' Doch ist das Leben, Sáriputto, durchaus kein leichtes, das ich auf dieser langen Fahrt nirgends gefunden habe als etwa bei den Reinen Göttern. Und sollt' ich auch, Sáriputto, nur unter Reinen Göttern leben: ich mag in diese Welt nicht wiederkehren.

"Manche Asketen und Brahmanen, Sáriputto, sagen und lehren: 'Die Spende läutert.' Doch ist die Spende, Sáriputto, durchaus keine leichte, die ich auf dieser langen Fahrt nicht geben konnte, es sei denn als gesalbter Kriegerkönig oder als mächtiger Brahmane.

"Manche Asketen und Brahmanen, Sáriputto, sagen und lehren: 'Das Feueropfer läutert.' Doch ist das Feueropfer, Sáriputto, durchaus kein leichtes, das ich auf dieser langen Fahrt nicht darbringen konnte, es sei denn als gesalbter Kriegerkönig oder als mächtiger Brahmane.


"Manche Asketen und Brahmanen, Sáriputto, sagen und lehren: 'Solange dieser liebe Mann da frisch und kräftig ist, glänzend dunkelhaarig, im Genusse der glücklichen Jugend, im ersten Mannesalter, solange besitzt er auch die höchsten Geisteskäfte. Ist aber dieser liebe Mann alt und greis geworden, hochbetagt, dem Ende nahe, ausgelebt, ein Achtziger oder Neunziger oder Hundertjähriger, dann schwinden ihm jene Geisteskräfte.' Doch ist das, Sáriputto, nicht schlechthin gültig. Ich bin ja, Sáriputto, jetzt alt geworden und greis und hochbetagt, dem Ende nahe, ausgelebt, stehe im achtzigsten Jahre.

Gesetzt aber, Sáriputto, ich hätte da vier Jünger, die hundert Jahre alt würden, hundert Jahre lebten, höchst innig, tugendhaft und stark, mit den höchsten Geisteskräften begabt. Gleichwie etwa, Sáriputto, ein sehniger Bogenschütze, wohl geschult, geübt und erprobt, einen leichten Pfeil mit geringer Mühe über den Schatten einer Palme hinausschießen könnte: ebenso wären diese gar sehr innig, tugendhaft und stark und mit den höchsten Geisteskräften begabt. Und sie stellten mir Frage auf Frage, von den Vier Pfeilern der Achtsamkeit an, und ich gäbe ihnen Erklärung auf Erklärung, und sie bewahrten was ich erklärt hätte als erklärt und fragten mich keine Frage zum zweitenmal, nur rastend beim Essen und Trinken, Kauen und Schlürfen, beim Entleeren von Kot und Harn und während der Pausen des Schlafes und der Müdigkeit.

Unausgeführt bliebe da wohl, Sáriputto, des Vollendeten Zeugnis der Wahrheit, unausgeführt bliebe da wohl des Vollendeten Zeichnung des Wahrheitpfades, unausgeführt bliebe da wohl des Vollendeten Klärung der Fragen: denn jene vier Jünger, die hundert Jahre alt geworden wären, hundert Jahre gelebt hätten, stürben mir dann weg.

Und wenn ihr mich auf dem Bette herbeitragen werdet, Sáriputto: die Geisteskraft des Vollendeten wird unverändert sein.

"Wer nun, Sáriputto, mit Recht von einem Manne sagen kann: 'Ein wahnloses Wesen ist in der Welt erschienen, vielen zum Wohle, vielen zum Heile, aus Erbarmen zur Welt, zum Nutzen, Wohle und Heile für Götter und Menschen', der kann eben von mir mit Recht sagen: 'Ein wahnloses Wesen ist in der Welt erschienen, vielen zum Wohle, vielen zum Heile, aus Erbarmen zur Welt, zum Nutzen, Wohle und Heile für Götter und Menschen.'"


Während dieser Zeit nun hatte der ehrwürdige Nagasamalo hinter dem Erhabenen gestanden und dem Erhabenen Kühlung gefächelt. Da wandte sich der ehrwürdige Nagasamalo an den Erhabenen und sprach:

"Wunderbar ist es, o Herr, außerordentlich: denn während ich da, o Herr, dieser Darlegung lauschte, haben sich mir die Haare gesträubt. Wie soll, o Herr, diese Rede heißen?"

"Wohlan denn, Nagasamalo, so bewahre sie unter dem Namen der Rede des Haarsträubens."

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der ehrwürdige Nagasamalo über das Wort des Erhabenen.



Auswahl und Gestaltung: Gottfried Helms, D-Kassel