Sutren aus dem Pali-Kanon

Quelle www.palikanon.com

(c) Wolfgang Greger

 

 

 

Hier präsentiere ich eine kleine, persönliche Auswahl aus den Sutren des buddhistischen Pali-Kanon, die ich von Zeit zu Zeit erweitern möchte.

Mir scheint es –aus meiner eigenen Erfahrung der ersten Begegnung mit buddhistischen Texten – daß es gut ist, zwei verschiedene Leseverfahren anzuwenden:

1) das freie Stöbern in den Texten

2) das intensivere Studium entlang bestimmter Topics.

Die Web-Seite www.palikanon.com stellt freundlicherweise eine große Sammlung von Texten aus diesem Kanon zur Verfügung, so daß der Genuß des Stöberns groß sein dürfte.

Eine Organisierung nach Topics ist ungleich schwieriger; allein die Textmasse an überlieferten langen, mittleren, kurzen Diskursen ist groß. Aber es ist auch schwierig, die Texte in eine inhaltliche Struktur zu fassen: vor allem die längeren Sutren sprechen jeweils eine große Zahl von Aspekten an – und vor allem: die inhaltliche Bestimmung einer Rede ist ein sehr subjektives Unterfangen. Wer möchte da quasi die Autorität für die Gestaltung der gesamten Überlieferung übernehmen und ihr unweigerlich seine private Monokultur aufprägen?

Mein herzlicher Dank gilt unbekannterweise dem Organisator der Pali-Kanon-Webseite, Wolfgang Greger, ohne die ich wohl nie in dieser Form mit diesen Überlieferungen eines großartigen spirituellen Lehrers in Berührung gekommen wäre.

Neuester Eintrag: 10.2.2008

 

 


 

 

"... Wie, Síha? Du, der du an Tätigkeit glaubst, willst den die Untätigkeit lehrenden Asketen Gotama besuchen? Die Untätigkeit lehrt ja der Asket Gotama; zum Zwecke der Untätigkeit verkündet er die Lehre, und in diesem Sinne erzieht er seine Jünger..."

Buddhismus wird oftmals mit Zurückgezogenheit identifiziert, wird als Lehre der Gleichgültigkeit und der Untätigkeit angesehen. Der Buddha als personifizierter Geist des Nihilismus, der Verächter und Zerstörer des Lebendigen, ja des wahren Lebens...

Nachdem andererseits die Sutren des Pali-Kanon voll sind mit Anfeuerungen an seine Jünger, sich anzustrengen, sich nicht gehen oder dem Trübsinn zu über-lassen, sollte dieses naive Urteil jedoch schnell bei jedem Interessierten ausgeräumt sein. Ist es aber nicht...

Hier wird eine Begegnung des Feldherrn Síha mit dem Buddha geschildert, in der der Buddha sich mit diesem Vorwurf auseinandersetzt.

"...Ich lehre nämlich, o Síha, die Nichtausübung eines schlechten Wandels in Werken, Worten und Gedanken..."

 

AN 8.12 Síha

 

 


 

"...eine grüblerisch vernagelte Lehre trägt der Asket Gotamo vor..."

Die Lehre des Buddha ist die Lehre des vorvormaligen Fürstensohnes und vormaligen Asketen Gotama. Daß es sich nicht um ein einfaches weiteres esoterisches Gedankengebäude im damaligen Indien handelte, in dem es – vielleicht vergleichbar mit den Hardcore-/Wald-Hippies der 60ger und 70ger Jahre – extremste Formen des "Ausstiegs" gab, spiritueller Suche, Waldasketentum mit obskursten Observanzen, Selbstkasteiung um der Verbesserung des Karma im Leidens- und Wiedergeburtskreislauf willen, hat der Buddha in vielen Diskursen dargelegt. Und er hat, vor allem, vor dem Absinken in solche rein philosophischen Gedankengebäude gewarnt (z.B. im großen Priesternetz-Sutra (DN 1), vor dem "Verwickeln der Nabelschnur") und für die Notwendigkeit der praktischen Übung geworben.

In der hier ausgewählten haaresträubenden Sutra stößt der Buddha gleichsam seinen "Löwenruf" aus: ich habe die Dinge erfahren! Ich habe die Askese bis auf die Spitze, bis an den physischen Tod getrieben! Ich weiß, wovon ich rede!

"(...) Und ferner bekenn' ich, Sáriputto, die Zeiten der vierfach geübten Askese:
·      Inbrünstig bin ich gewesen, Inbrünstig wie noch kein andrer;
·      Rauhsinnig hin ich gewesen, Rauhsinnig wie noch kein andrer;
·      Wehmütig bin ich gewesen, Wehmütig wie noch kein andrer;
·      Abgelöst bin ich gewesen, Abgelöst wie noch kein andrer. (...)"

 

Doch dies allein hat nicht/hätte nie zum Erwachen, zur "Weisheit" geführt:

"(...)Weil ich eben jene heilige Weisheit nicht errungen hatte (...)"

 

und mit seinem Erwachen entschied sich der Buddha für den "mittleren Weg" und die Praxis des "achtfachen Pfades"...

Aber was war das für eine Vorgeschichte, die der Buddha da schildert:

"(...)während ich da, o Herr, dieser Darlegung lauschte, haben sich mir die Haare gesträubt. Wie soll, o Herr, diese Rede heißen?"
"Wohlan denn, Nagasamalo, so bewahre sie unter dem Namen der Rede des Haarsträubens."

 

Die "Haaresträuben-Sutra" MN 12  

 

 


 

"Wie muß, Anando, die Einigung bedachtsamer Ein- und Ausatmung entfaltet und ausgebildet werden, daß sie große Frucht und großen Segen verleiht?"

 

Wie kommt es zu der großen Bedeutung, die diese schlichte und unauffällige Tätigkeit des Atmens in der buddhistischen Übung hat? Und nicht nur dort: von der damaligen umgebenden indischen Yoga-Kultur bis heute zum professionellen Schauspiel und Hochleistungssport ist die Kunst des richtigen Atmens ein wichtiger Ausbildungsgegenstand.

Es gibt zum Thema Meditation und Atmung die große Maha-Satipatthana-Sutra (DN12) ; aber in der hier vorgestellten Sutra (SN54.20) ist konzentriert über die Achtsamkeit mit der Atmung gesprochen worden.

 

"(...) wacht der Mönch beim Körper über den Körper, (...)"

Nicht-wertende Bewußtheit bei den auf- und absteigenden Spannungszuständen/ Energieveränderungen des Körpers, der Gefühls- und Herzensregungen....

 

"(...)wacht der Mönch bei den Erscheinungen über die Erscheinungen, unermüdlich, klar bewußt, achtsam, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Trübsinns(...)"

Desgleichen die Bewußtheit bei dem Auf- und Absteigen der Gedanken (oder allgemeiner der Bewußtseinsformierungen): über das körperlich/seelisch Wohltuende dieser Atemmediation hinaus ist der Vorschlag des Buddha, auch das geistig Wohltuende und Aufklärerische zu nutzen, das sich bei der Beobachtung und der dadurch möglichen Relativierung der "Selbst"-konstituierung einstellt, welche sich durch das im Alltag meist permanente Feuerwerk der Gedanken, Erwägungen und Bewertungen in Attraktion, Gleichgültigkeit und Ablehnung realisiert.

 

über das achtsame Atmen SN54.20

    

 


 

"(...)Gleichsam wie verwirrt, Brüder, ist mein Inneres,
·      die Richtung habe ich verloren,
·      die Lehren werden mir nicht klar,
·      von Starrheit und Müde ist mein Geist umfangen,
·      ohne Freude lebe ich den Heiligen Wandel,
·      und auch Zweifel habe ich hinsichtlich der Lehren.(...)"

 

Wer kennt sie nicht, diese Momente der Ermüdung? Und die Tendenz, sie wegzuleugnen – da nicht sein kann, was nicht sein darf...

Aber ist Ermüdung nicht normal, Zeichen von körperlicher, seelischer und geistiger Überforderung? Zusätzliches Leid entsteht, wenn daraus eine Selbstanklage wird, eine Entwertung des und eine Anklage gegen das "Selbst". Ist Meditation eine allverfügbare Quelle der Erholung, der Kraft, wie das manchmal in Esoterik-Prospekten angedeutet wird?

Natürlich nicht. Aber wenn zu der Ermüdung die Selbstanklage kommt, der leidhafte Selbst-zweifel: dann kann man versuchen, dieses unrealistische "Selbst"-Bild, die "Selbst"-Vorstellung (und deren Ideale) zu thematisieren. Ist meine körperliche, seelische, geistige Formation "mein Selbst"? Kann ich mich von dieser zusätzlich Leiden-schaffenden Identifikation meiner körperlichen, seelischen oder geistigen Schwäche mit (m)einem "schlechten" Selbst emanzipieren, mich von ihnen "abwenden"?

Eine Orientierung und Ermutigung des Buddha an den zerknirschten Vetter Tissa ist in SN22.84. Sein Tip, wie Tissa üben kann:

"(...)Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst!(...)"

 

Und entgegen der verbreiteten Ansicht, der Buddha lehre die Pflege des Leiden(sgebaren), ermuntert er schließlich den armen Schüler ganz weltlich:

"(...)Sei heiter, Tissa! Sei heiter, Tissa! Als Berater bin ich ja da, als Helfer, als Unterweiser.(...)"

 

verlorene Richtung: SN22.84

    

 


 

"(...)Der Asket Gotamo verwirft alle Buße, einen jeden Büßer, der Kasteiung übt, betrachtet er durchaus als tadelbar, tadelhaft.(...)"

 

Eine meiner ersten Begegnungen mit dem Pali-Kanon war diese Sutra, in der der bereits „Buddha“ genannte Asket und Raja-Sohn Gotama sich mit dem Nackt-Asketen Kassapa trifft. Hier setzt er sich zunächst mit dem Vorwurf auseinander, nicht asketisch genug zu sein, und beispielsweise die (schon im Haaresträuben-Sutra beschriebene) strenge Askese nicht (mehr) einhalte, ja, daß er die verbreitete harte Buß-Praxis der „echten Asketen und Priester“ durch seine Lehre und die Lebensweise seines Ordens verächtlich mache.

„(...) es lebt einer von Kräutern und Pilzen, von wildem Reis und Korn, von Samen und Kernen, von Pflanzenmilch und Baumharz, von Gräsern, von Kuhmist (...) ist Dornenseitiger und legt sich zur Seite auf ein Dornenlager; er liegt auf einem Brette, liegt auf dem Estrich, liegt auf einer Seite, mit Staub und Asche bedeckt (...)

Schwer ist es, o Gotamo, Asket zu sein, schwer Priester zu sein. (...)

 

Zur Überraschung des Lesers (und wohl auch des Nackt-Asketen) gibt der Buddha hier nicht klein bei – warum auch: er hatte dies alles selbst ausprobiert

«Gemeinplatz worden ist das, Kassapo, in der Welt: 'Schwer ist es Asket zu sein, schwer Priester zu sein.' (...) das könnte gar bald ausgeführt werden, von einem Hausvater, oder dem Sohne eines Hausvaters, bis herab zu einer Stalldirne: 'Wohlan denn, ich will unbekleidet sein, ungebunden, mit der Hand mich verkösten, also streng Fasten pflegen

 

und stellt stattdessen eine ganz einfache, weitere Anforderung, die sich an den ernsthaften Büßer, ernsthaften Asketen und Priester stellt:

Sobald aber, Kassapo, ein Mönch
       ohne Grimm unbeschränkte Liebe im Herzen vollbringt (...)
       ohne Grimm unbeschränktes Erbarmen im Herzen vollbringt(...)
       ohne Grimm unbeschränkte Freude im Herzen vollbringt (...)
so wird ein solcher Mönch, Kassapo, Asket geheißen, Priester geheißen.

und wenn man sich ein wenig in die geschilderte Auseinandersetzung hineinversetzt spürt man sofort die Unausweichlichkeit, den Widerhaken dieser Anforderung, aber auch ihren die härteste äußerliche Observanz transzendierenden Gehalt.

Unglaublich... absolut unerwartet für einen Neuling „in Buddhismus“, dem gerade erst die zweite oder dritte Pali-Kanon-Sutra über den Weg gelaufen ist.

Hier zeigt sich eine Seite, die über die Leistungsschau eines (falschverstandenen, idealisierten) Askese-Marathons hinausgeht ohne sie aber schlechtzureden und die ein Herzstück des Buddha-Weges mitbeschreibt – nach der Begegnung mit dieser Sutra war für mich jedenfalls klar, daß hier jemand spricht, mit dem es sich lohnt, sich weiter und weitaus tiefer zu beschäftigen.

Schließlich lesen wir noch den „Löwenruf“ des Buddha, der dieser Sutra den Namen gegeben hat: alles zusammen ein wunderbares Eingangstor in das, was man mit zunehmender Erfahrung „den Dharma“ nennen lernt...

ohne Grimm: der Löwenruf DN8

    

 


 

 

Die letzte Sutra in dieser kleinen Auswahl verströmt einen besonderen Charme, und mag eine orthodoxe, scholastische Seele, die bis auf diese Seiten hier vorgestoßen sein mag, vielleicht ein bißchen auflockern.

Wie Schulbuben befragen sich die markanten Ordensälteren und vergleichen ihre Antworten wie in einem kleinen selbstgestellten Quiz:

"(...) Entzückend ist der Gosingam-Wald, herrlich die klare Mondnacht, die Bäume stehen in voller Blüte, himmlische Düfte, meint man, wehen umher. Was für ein Mönch, Bruder , mag dem Gosingam-Walde Glanz verleihen?.(...)"

 

Wir begegnen den Ehrwürdigen Anando, Revato, Anuruddha, (Maha-) Kassapa, (Maha-) Moggallana und Sariputta in einer lauschigen Nacht und lernen deren knappe (Selbst-) Charakterisierung durch ihre unterschiedlichen Antworten auf diese Frage kennen – ich bekenne gern, welche Antwort mir hierbei am besten gefällt: sollte ich mir einen Mentor auswählen können, so wäre es mit Freude Meister Moggalana mit seinem überaus kurzen, knappen Kommentar...

 

Nun vergleichen sie die verschiedenen Antworten und fragen den Buddha

Wer hat nun wohlgesprochen, o Herr?“

 

Ein Grund, warum der Orden, anders als viele andere, mit dem Hinscheiden seines Lehrers nicht in der Versenkung verschwunden ist, sondern einen spirituellen, religiösen, sozialen oder gar physischen Ort für eine weltweite Anhängerschaft über viele Jahrhunderte abgegeben konnte, ist vielleicht die geistige Großzügigkeit des Meisters, der verschiedene Wege, verschiedenen Glanz gelten läßt:

„Alle habt ihr wohlgesprochen, Sáriputto, der Reihe nach.(...)“

der auf eine orthodox-scholastische Festlegung verzichtet, sondern stets auf die Praxis der Lehre, die Ausübung verweist, die unterschiedliche, individuelle Wege erlaubt wenn sie denn zum Ziel der Anstrengungen führt. Wenn wir buddhistische Klöster ansehen, kann man beobachten - so wird jedenfalls berichtet - , daß die verschiedenen, im Laufe der Generationen herausgebildeten Schulen und Traditionen sich friedlich vertragen und ohne weiteres unter einem Dach ihre Praxis ausüben können.

Und um die Antwort des Buddha selbst

„Und nun hört auch von mir, was für ein Mönch dem Gosingam-Walde Glanz verleihen mag:“

zu erfahren .... sei der neugierige Leser mit dem Verweis auf die Sutra zum Selber-lesen animiert:

glanzverleihender Mönch MN32

 

 


 

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Auswahl und Gestaltung: Gottfried Helms, D-Kassel